1.1 Einleitung

Gesundheit ist nicht alles, aber ohne Gesundheit ist alles nichts. Sicherheit und Gesundheit haben einen hohen Stellenwert in unserem Leben. Jeder möchte gesund sein und gesund bleiben; viele richten ihre Lebens- und Ernährungsweise auf dieses Ziel hin aus, aber noch vielmehr vertrauen auf ihre Konstitution und die Medizin. Hier auch auf die Gentechnik. Gesundheit und Ernährung stehen in engem Zusammenhang. Viel zu häufig, aber zu Unrecht, werden technisch bearbeiteten Lebensmitteln negative Auswirkungen auf unseren Gesundheitsstatus angelastet. Viel zu selten wird aber eine Verbindung von Ernährungsweise und -verhalten im Kontext zur Gesundheit gesehen.

Heute steht den Menschen in den hochindustrialisierten Ländern der westlichen Hemisphäre ein überaus vielfältiges und nahezu unerschöpfliches Angebot an hochwertigen und preisgünstigen Lebensmitteln zur Verfügung. Fast jeder kann nach seinen Wünschen auswählen und essen was er möchte, ohne hierfür viel Arbeitskraft und Geld aufbringen zu müssen. Dies führt bei vielen Menschen dahin. daß sie zu viel essen, zu fett essen, zu viel rauchen und zu viel Alkoholika trinken. Alles Kriterien, die der Gesundheit abträglich sind und letztlich zu ernährungsbedingten Erkrankungen führen.

Umsetzungen technischer Fortentwicklungen in Landwirtschaft und Lebensmittelverarbeitung haben erst die mehr als ausreichende Nahrungsversorgung ermöglicht. Im Laufe der Geschichte haben wir Menschen durch Versuch und Irrtum gelernt, bekömmliche Nahrungsmittel zu erkennen und abträgliche Produkte zu meiden sowie die belebte Umwelt - Tiere, Pflanzen und Mikroorganismen- zu unserem Vorteil zu manipulieren. Insgesamt eigneten wir uns von Generation zu Generation einen großen Erfahrungsschatz im Umgang mit unseren Lebensmitteln an und bewahrten traditionelle Vorstellungen über ihre Herstellungsverfahren. Lebensmittel verkörpern immer mehr Lebensstil und Prestige. Essen und Trinken sind sensible Bereiche, sie werden von Traditionen und Emotionen geprägt. Vor diesem Hintergrund soll nun die Gentechnik in den Lebensmittelbereich eingeführt werden. Als eine unbekannte, neue Technik erscheint sie vielen als unheimlich und gefährlich. Vielen entspricht sie auch nicht den traditionellen Vorstellungen von Lebensmitteln und ihrer Herstellung. Darüber hinaus besitzen wir für diese gentechnischen Produkte keine Erfahrungswerte und ein unmittelbarer persönlicher Nutzen oder Vorteil dieser neuen Produkte ist kaum erkennbar. Dies erzeugt Unbehagen und Verunsicherung. Schlagworte wie "Genfraß", "Gentech-Nahrung", "Franken-Food aus Frankensteinsküche" oder "unvorhersehbare Risiken", aber auch das lange Schweigen von Wissenschaft und Wirtschaft haben hier ihren Beitrag geleistet. Dabei wird in der Öffentlichkeit übersehen, daß Herstellung und Verarbeitung unserer so vertrauten Lebensmitteln einem ständigen Wandel unterliegen. Nicht nur ernährungsphysiologische Erkenntnisse, soziologische, ökonomische Veränderungen und technische Entwicklungen haben ihren Anteil daran, sondern auch Verbraucherwünsche. Unsere Lebensmittel sollen immer schöner, wertvoller, besser oder kurz gesagt genußvoller und gesünder werden. Dabei sollen sie aber immer naturbelassener, frischer, sicherer, haltbarer und billiger werden. Hier wird die Natur überfordert, und die Lebensmitteltechnik und -verarbeitung muß nachhelfen.

1.2. Gen- und Biotechnik

Gen- und Biotechnik gelten als Schlüsseltechnologien des 21. Jahrhundert und ihre zukünftige Bedeutung kann mit der heutigen wirtschaftlichen Stellung der Mikroelektronik und der Informationstechnik verglichen werden. Die Gentechnik stellt eine Querschnittstechnologie dar, die weite Bereiche der Medizin, der Chemie, der Landwirtschaft, der Lebensmittelverarbeitung und des Umweltschutzes nachhaltig beeinflussen wird [1]. Die Gentechnik ist nicht mit der Biotechnik identisch, sondern sie stellt für biotechnische Anwendungen nur neue Methoden zur genetischen Veränderung von Organismen bereit. Die Aufklärung der DNA-Struktur durch Watson und Crick 1953, die Ermittlung des genetischen Codes 1966 und die Entdeckung der Restriktionsenzyme 1972 waren Meilensteine für die molekulare Genetik und schufen die Grundlagen für technische Anwendungen der Gentechnik. Die Gentechnik hat die klassische Biotechnologie innovativ weiterentwickelt und die moderne Biotechnologie stellt eine enge Verflechtung von Gentechnik und traditioneller Biotechnik dar (Tab. 1). Im Pharmabereich zeichnet sich für die Anwendung der Gentechnik bereits ein positiver Trend für die Akzeptanz der Produkte durch die Öffentlichkeit ab. Im Agrar- und Lebensmittelsektor wird die Gentechnik sehr kontrovers und emotional diskutiert und ihr Bild ist mehr von Skepsis, Mißtrauen und Ablehnung geprägt.

Biotechnologie - Biotechnik
1. Definition:

Biotechnologie ist der Einsatz biologischer Prozesse

im Rahmen technischer Verfahren und industrieller Produktion.

2. Definition:

Biotechnologie ist die integrierte Anwendung von Biochemie, Mikrobiologie, Molekularbiologie und Verfahrenstechnik mit dem Ziel, das Potential von Mikroorganismen, pflanzlichen und tierischen Zellen sowie Gewebekulturen auszunützen.

Tab. 1: Definitionen für "Biotechnologie" im Laufe der Entwicklung der Technik

1.3 Züchtung und Gentechnik

Seit Jahrtausenden versucht der Mensch seine Umwelt nach seinen Wünschen und Nutzvorstellungen zu verändern. Für seine Ernährung setzte er hierfür Tiere, Pflanzen und Mikroorganismen ein und optimierte sie zu seinem Wohle und Nutzen. Dabei richtet er die Züchtung nach seinen Ansprüchen an Menge und Qualität der Produkte sowie an agrarischen und klimatischen Bedingungen aus. Die Züchtungsbemühungen hatten/ haben bekanntermaßen große Erfolge in der Steigerung und Erhalt von Erträgen sowie in qualitativen Änderungen von Produkteigenschaften erbracht. Über einen sehr langen Zeitraum erfolgte allein die Auswahl neuer Elternlinien durch die genaue Beobachtung der Organismen und ihrer Leistungen.

Zeittafel der Pflanzenzüchtung
bis 1900

ab 1900

ab 1950

1960

1978

Auswahl vorhandener Varianten

gezielte Selektion von Pflanzen

Gezielte Kreuzungen für genetische

Veränderungen; Hybridsorten

Erzeugung von Mutationen durch

-Strahlen; Mutationzüchtung

Zell- und Gewebekulturen

Gentechnik; Übertragung ausgewählter einzelner Gene

Tab. 2: Entwicklung der Pflanzenzüchtung

Erst um die Jahrhundertwende setzen Menschen gezielt Kreuzungen zur Veränderung der Erbeigenschaften von Pflanzen und Tieren ein und um 1950 fand verstärkt der Einsatz vom mutagen-wirkenden Agenzien Anwendung zur Manipulation genetischen Materials. Seit einigen Jahren werden klassische Züchtung und Stammoptimierung von Mikroorganismen durch ein neues Hilfsmittel - die Gentechnik - in der Verbesserung von Organismen unterstützt (Tab. 2). Die Gentechnik liefert Methoden; sie ist per se weder gut noch schlecht. Die Gentechnik stellt die Methoden zur Auswahl geeigneter Zuchtlinien und Stämme, zur Erforschung und Kartierung von Merkmalen (Genen) sowie zur Isolierung, Modifizierung und Übertragung einzelner Gene bereit.

Die Gentechnik ist nicht identisch mit der Züchtung und kann sie auch nicht ersetzen. Aber mit der neuen Technik werden gleiche Ziele verfolgt; nämlich Organismen mit neuen, für den Menschen nützliche Eigenschaften, auszustatten (Tab. 3). Die Wege hierfür sind in der Züchtung und Gentechnik aber unterschiedlich. In der Züchtung werden in der Regel ganze Genome, oft Tausende von Genen, neu rekombiniert, während mit der Gentechnik nur ein genau definiertes Genkonstrukt bzw. nur spezielle Gene in einen Organismus eingebracht werden.

Ziele in der klassischen und gentechnischen Pflanzenzüchtung
Verbesserung

der Resistenz





gegen Krankheiten



gegen Umwelteinflüsse

Viren

Bakterien

Schadpilze

Nematoden

Schadinsekten

Temperatur

Trockenheit

Salze

Wildkräuter

Verbesserung

der Qualität

Änderung primärer Inhaltsstoffe

Änderung sekundärer Inhaltsstoffe

Neue Inhaltsstoffe

Stärke

Öle/Fette

Eiweiße

Aromen

Ballaststoffe,

Vitamine

Technische Enzyme

Pharmaka

Verbesserung der

Ertragsfähigkeit

Bessere Nährstoffaufnahme

Erhöhung der Photosyntheseleistung

Veränderter Stofftransport in der Pflanze

mod. nach Wenzel, DLG, 1997 [4]

Tab. 3: Ziele in der klassischen und gentechnischen Züchtung

In der klassischen Züchtung müssen Organismen (Pflanzen) ausgesucht werden, die die gewünschten, gesuchten neuen Eigenschaften aufweisen und mit den Partner auch noch kreuzbar sind. Häufig enthalten ursprüngliche Formen das gesuchte Merkmal, aber oft weisen sie auch noch unerwünschte Eigenschaften auf. Bei der Züchtung, der sexuellen Vermehrung, wird das gesamte Erbgut der Eltern neu rekombiniert und nach den Mendelschen Gesetzen auf die Nachkommen anteilig weitergegeben. Gewünschte und unerwünschte Merkmale werden auf sie übertragen. Die unerwünschten, negativen Eigenschaften müssen in zeitaufwendigen Rückkreuzungen wieder entfernt werden. Durchschnittlich vergehen 10 - 15 Jahre von der Primärkreuzung bis zur Vermarktung einer neuen Sorte.

Für Kreuzungen können nur artgleiche oder naheverwandte Organismen verwendet werden, da Kreuzungsbarrieren den freien Genaustausch verhindern. Bei der sexuellen Vermehrung sind grundsätzlich keine molekulare Kenntnisse über genetische Eigenschaften der Organismen vonnöten und in der Regel ist nichts über die molekularen Vorgänge auf der DNA-Ebene bei der Neukombination der Erbanlagen bekannt.

Traditionell wurden auch Veränderungen im Genom durch mutagene Substanzen oder Strahlung erzwungen. Nahezu 1500 Pflanzenvarietäten sind durch - Strahlung erzeugt worden und viele haben eine Sortenzulassung erhalten. Bei Mikroorganismen wird dieses Verfahren zur Stammverbesserung teilweise noch angewendet, während es in der Pflanzenzüchtung keine Bedeutung mehr hat. Die Ergebnisse dieser genetischen Veränderungen lassen sich weder voraussehen noch lassen sich seine Auswirkungen abschätzen. Dennoch bestehen kaum Ängste oder Befürchtungen über mögliche Risiken bei dieser Art der Genmanipulation. Die Erfahrung zeigt uns doch, oder glauben wir doch zu wissen, daß die konventionellen Züchtungsverfahren keine Risiken für Mensch und Umwelt bergen [2,8].

Die genetischen Eigenschaften der Organismen sind in der Basenabfolge (Adenin, Thymin, Guanin, Cytosin) in der Desoxyribonucleinsäure (DNA) verschlüsselt niedergelegt. Der Schlüssel, der genetische Code, ist universell; der Informationsgehalt der Basenabfolge wird von allen Organismen verstanden und zumindest für Strukturgene auch richtig umgesetzt. Diese Universalität des genetischen Codes ist die Grundvoraussetzung der artüberschreitenden Züchtung mit Hilfe der Gentechnik.

Die Gentechnik stellt Methoden zur Verfügung und unter diesem Begriff werden alle die Verfahren zusammenfaßt, mit denen genetisches Material, Desoxyribonucleinsäure (DNA) isoliert, analysiert, vermehrt, mit neuer DNA rekombiniert und auf Organismen übertragen werden kann. Die neue Technik hat somit die methodischen Voraussetzungen für die Isolierung und Charakterisierung von Genen und den Transfer von begrenztem und definiertem genetischen Material zwischen Organismen geschaffen, auch wenn diese durch biologische Schranken getrennt sind.

Beim Einsatz der Gentechnik ist es notwendig, das entsprechende Gen für die gewünschte Eigenschaft zu identifizieren, zu isolieren und zu charakterisieren. Anschließend ist die DNA zu vermehren (Klonierung), das Gen in den gewünschten Organismus einzuschleusen (Gentransfer, Transformation) und dort zur Ausprägung seiner Funktion zu bringen (Genexpression) (Abb. 1). Für die Funktionsfähigkeit wird das Gen in seiner Kontrollregion an den Wirtsorganismus angepaßt. Zur leichteren Erkennung des transformierten Wirtes, des gentechnisch veränderten Organismus (GVO), wird es mit einem Markergen versehen. Das so modifizierte Genkonstrukt wird dann je nach Wirtsorganismus mehr oder minder gezielt übertragen. Die verwendete Transfermethode richtet sich nach dem zu transformierenden Organismus; hauptsächlich werden die plasmid-induzierte und die direkte Genübertragung angewandt. Mit dem Gentransfer erhält der GVO gezielt nur die neue gewünschte Information.

Abb.1: Grundlegende Arbeitsschritte für gentechnische Modifizierungen von Pflanzen

Ein Gen enthält grundsätzlich drei Informationsbereiche: (Abb. 2):

Abb. 2: Schematischer Aufbau eines Gens

Wie bereits erwähnt, wird der Informationsgehalt des Strukturgens von allen Organismen korrekt erkannt und in das entsprechende Protein umgesetzt. Der Kontrollbereich dagegen ist für Lebewesen spezifisch. So kann eine Pflanze ein mikrobielles Gen, das noch die mikrobielle Kontrolleinheit enthält, nicht exprimieren. Das mikrobielle Gen muß erst mit einem pflanzlichen Promotor ausgestattet werden, damit die Pflanze die neue Eigenschaft ausprägen kann. Aus diesem Grunde wird z.B. im Bt-Mais von Novartis das mikrobielle Gen für das Bacillus thuringensis- Toxin ausgeprägt, während das Gen für die Ampicillin-Antibiotikaresistenz nicht exprimiert wird, da es noch den mikrobiellen Promotor enthält.

In Abbildung 3 sind wichtige Elemente, die cloning site mit dem Ziel-Gen und Kontroll- bzw. Regulationsbereich und Selektionsmarker von Plasmiden für die Amplifizierung von DNA und zur Identifizierung gentechnisch modifizierter Organismen aufgezeigt. Als Selektionsmarker kommen vorwiegend Gene für Resistenzen gegen Antibiotika oder Herbizide sowie für spezielle Enzyme (z. B. Glucuronidase; setzt einen Farbstoff nach Umsatz des entsprechenden Substrats frei) zum Einsatz. Antibiotika-Resistenzgene werden häufig im Frühstadium der gentechnischen Modifizierung bei der Amplifizierung der rekombinierten DNA (rDNA) in Mikroorganismen verwendet. Die Selektionsmarker werden aus rein arbeitstechnischen Gründen benötigt. Sie dienen lediglich zur leichteren und schnelleren Identifizierung der veränderten Organismen; für den GVO sind sie in der Regel ohne funktionelle Bedeutung.

Abb. 3: Elemente von Plasmiden

Abb. 4: Deletionsverfahren von Genen bei Milchsäurebakterien

In der ersten Stufe wird die Plasmid-DNA über die homologen Sequenzen in das Chromosom integriert. Anschließend erfolgt durch ein crossing over zwischen den beiden Sequenzbereichen B die Deletion der gesamten DNA und des Gen.

Abb. 6: Vergleich zwischen klassischer und moderner Züchtung

Der Zeitaufwand bis zur Entwicklung einer neuen Sorte beträgt ca. 10-15 Jahre; gleichgültig ob gentechnische oder klassischer Verfahren angewandt werden. Dabei nimmt die Überprüfung der neuen Pflanzenvarietät auf ihre Eigenschaften den größten Raum ein.

Gerade in den Selektionsmarkern, insbesondere den Antibiotika-Resistenzgenen, werden in den möglichen Gentransfer häufig Risiken für Mensch und Umwelt gesehen. Um eine Gefährdung aus den Antibiotika-Resistenzgenen auszuschließen, wurden Verfahren zu ihrer nachträglichen Eliminierung entwickelt. Für Mikroorganismen sind diese Methoden etabliert und routinemäßig werden bei Kulturen, die direkt in der Lebensmittelverarbeitung eingesetzt werden sollen, diese neu eingeführten Resistenzgene deletiert. In Abbildung 4 ist eines der Verfahren zur Deletion von Genen in Mikroorganismen schematisch dargestellt (hier wird die gesamte Plasmid-DNA entfernt).

Die meisten gentechnisch modifizierten Pflanzen enthalten noch Antibiotika-Resistenzgene, wenn auch als "stille" Gene. Bedingt durch die enge Kopplung zwischen Ziel-Gen und Antibiotika-Resistenzgen im Genkonstrukt lassen sich diese Resistenzen nicht auskreuzen. Inzwischen sind auch bei Pflanzten Fortschritte zur Deletion von Antibiotika-Resistenzgenen erzielt worden. In naher Zukunft wird die besondere Sicherheitsbewertung der Antibiotikaresistenz an Bedeutung verlieren, da die Pflanzen solche Gene eben nicht mehr enthalten.

Abb. 5: Verfahren zum Gentransfer

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